Trost erfahren oder warum es manchmal nicht reicht, eine Tafel Schokolade zu essen
Wir alle kennen diese Situation: Ein kleines Kind stolpert beim Laufen, es fällt hin und Hände und Knie sind zerschunden. Sie hören das laute, klagende Weinen des Kindes und Sie sehen die Mutter herzueilen. Sie sehen, wie sie das Kind in ihre Arme nimmt, wie sie leise mit ihm spricht, wie sie versucht, ihr Kind zu beruhigen. Sie tröstet. Ganz spontan und ohne zu überlegen tut sie und sagt sie genau das Richtige. Mütter können das – Väter übrigens auch.
Die Mutter sagt nicht zu ihrem Kind: „Oh, das tut mir aber leid.“ Sie findet ganz andere Worte. Sie erkennt an, dass das, was da geschehen ist, weh tut. Ihr Kind ist verletzt, ihr Kind hat Schmerzen und sie fühlt mit ihm. Und darum geht es.
Wenn wir jemanden trösten, geht es nicht um Mitleid. Es geht um Mitgefühl und darum, dass wir das Schmerzvolle, das Leidvolle bei dem, was da geschehen ist, wahrnehmen und anerkennen.
Wir alle haben schon einmal erlebt, dass gut gemeinter Trost vollkommen daneben gegangen ist. Dass das, was da jemand sagte, uns gar nicht erreicht hat. Und sicherlich hat jeder schon einmal die Erfahrung gemacht, dass das, was wir selbst formuliert und ausgesprochen haben, nicht unbedingt das ausgedrückt hat, was wir ausdrücken wollten. Keiner von uns ist perfekt
Die Situationen, in denen wir Trost brauchen und suchen, sind vielfältig. Wenn eine Freundschaft zerbrochen ist, wenn wir den Kontakt zu einem unserer Kinder verloren haben, wenn uns ein Mensch tief verletzt hat oder wenn wir einen geliebten Menschen für immer hergeben mussten. Das sind Situationen, in denen wir mit dem Verlust, in denen wir mit Traurigkeit und vielleicht auch mit Niedergeschlagenheit zu kämpfen haben. Und wenn uns da kein Trost widerfährt, ist die Gefahr groß, dass wir in diesen Gefühlslagen stecken bleiben.
Dabei bedarf es oft nicht vieler Worte, um in diesen Situationen getröstet zu werden. Manchmal ist schon die bloße Anwesenheit eines vertrauten Menschen wertvoll und die Gewissheit, dass dieser Mensch für mich da ist und dass ich nicht alleine bin. Es geht nicht darum, mit Ratschlägen oder gar mit Lösungen versorgt zu werden. Auch Beschwichtigungen, wie: „Das wird schon wieder.“, helfen nicht wirklich weiter.
Mir ist es wichtig, dass jemand bei mir ist und zuhört, wenn ich mir etwas von der Seele reden möchte. Es ist ein großes Geschenk, wenn dieser Mensch ein offenes Ohr für mich hat und wenn er mir sein Mitgefühl zeigt. Und das kann vollkommen wortlos geschehen.
Wenn ich dabei die Hand meines Zuhörers auf meiner Hand spüre, kann das durchaus wohltuend sein. Eine Erfahrung, die mich immer mit meinem Vater verbunden sein lässt. Er beherrschte diese Kunst des wortlosen Tröstens auf ganz wundervolle Weise. Vielleicht auch deswegen, weil ihm in den letzten Jahren seines Lebens die Worte genommen waren.
Es kann auch wirklich trösten, wenn mich mein Gegenüber in den Arm nimmt. Aber dazu muss das zwischenmenschliche Verhältnis passen, das ich auch sonst mit diesem Menschen lebe. Wenn dieses In Den Arm Nehmen nicht dazu gehört, dann ist diese Geste eher übergriffig und befremdlich und das wird von dem, der Trost sucht, auch so empfunden.
Wenn wir jemanden trösten, geht es also auch um Ehrlichkeit und um Authentizität. Wir dürfen tatsächlich auch sagen, dass uns beim Erleben des Schmerzes, den der andere empfindet, kein Wort des Trostes einfällt. Manchmal fehlen uns einfach die Worte und das zu formulieren ist ein ehrlicher Ausdruck unseres Mitgefühls.
Einen anderen Menschen zu trösten, ist etwas zutiefst Existenzielles und froh Machendes. Und es ist Teil unseres christlichen Auftrags. In den Seligpreisungen heißt es: „Selig sind die, die Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ Wenn wir einem Menschen Trost zusprechen, wirken wir mit an der Umsetzung dieser Zusage, getröstet zu werden. Trösten hat etwas mit Heilung zu tun und mit Heil Werden. Ein Auftrag, der schöner gar nicht sein kann.
In der Lehre von den Engeln gibt es den Engel des Trostes. Ein Erzengel mit dem Namen Azrael. Dieser Name bedeutet: „Engel Gottes“ oder „Hilfe von Gott“. Und egal, ob wir an Engel glauben oder nicht, in dem, was wir tröstend tun, wird immer auch etwas von dem Göttlichen in uns sichtbar sein.
Um getröstet zu werden brauchen wir nicht immer die Hilfe anderer oder gar die Hilfe der Engel. Es gibt durchaus Dinge, mit denen wir uns Gutes tun, mit denen wir uns trösten können. Ein Waldspaziergang, eine leise, uns tragende Musik gehören zu diesen Möglichkeiten. Oder vielleicht auch die bereits erwähnte Tafel Schokolade.
Bei meinem Schwiegervater erlebt unsere Familie eine ganz einzigartige Geschichte des Getröstet Seins und Heil Werdens. Vor einem Jahr starb seine Frau und alle haben sich gefragt, wie er wohl alleine zurecht kommen würde. Aber er hat uns in Erstaunen versetzt. Seit dem Tod seiner Frau geht er jeden Tag auf den Friedhof und besucht sie an ihrem Grab. Er nimmt Blumen aus dem Garten mit oder auch vom Wochenmarkt, er spricht mit ihr, er erzählt ihr von dem, was in der Familie passiert und wie er seinen Tag füllt. Und bevor er wieder nach Hause geht, betet er. All das sind tröstende Rituale.
Und dennoch ist dies nur ein Teil der Geschichte. Für das alles bräuchte er vielleicht nur eine halbe Stunde Zeit. Oft aber ist er zwei Stunden und länger unterwegs. Und das liegt an der Gemeinschaft, die er auf dem Friedhof gefunden hat. Menschen aus dem Ort, die er aus seinen Berufsjahren als Schlossermeister oder auch aus seinen aktiven Jahren in der Gemeinde gekannt hat und die er jetzt wiederfindet. Und diese Menschen geben ihm das Gefühl, in seiner Trauer nicht alleine zu sein.
Er hat Menschen gefunden, die in ihrem Verlust die gleichen Erfahrungen machen, wie er. Menschen, die einander mitteilen und mit denen er sogar lachen kann. Einige von ihnen gehen diesen täglichen Weg schon sehr lange. Dahinter verbirgt sich, dass Trost Finden und Heil Werden ein Prozess ist, der lange dauern kann. Heilung braucht Zeit und wir brauchen Geduld.
Christian Morgenstern hat das einmal so formuliert: „Alles fügt sich und erfüllt sich. Du musst es nur erwarten können.“